Samstag, 9. Februar 2013

Annehmen was ist

Gerade in unserer westlichen Kultur ist Annehmen eine vernachlässigte Fertigkeit. Wir wollen verändern und vorankommen. Was nicht passt, muss passend gemacht werden. Umgedreht leiden wir oft darunter, wenn etwas nicht in unseren Kram passt. Wir können es nicht ertragen, werden wütend oder ärgerlich. Und manches ist nunmal nicht zu ändern und wir können nicht davon loslassen. Manche leiden Jahrzehnte unter etwas, was sich nicht verändern lässt und wo nur Loslassen helfen würde.

Im Buddhismus findet man die Themen Annehmen und Loslassen immer wieder. Vielleicht macht das diese Tradition auch so interessant für westliche Menschen: Beinhaltet es doch Lösungen, wie wir typisch westlichen Mangel ausgleichen können. Wie wir darüber etwas lernen, was wir bisher vernachlässigt haben.

Wenn jemand wütend und ärgerlich ist und man kommt ihm mit Annehmen, ist eine typische Reaktion: Ich kann doch nicht hinnehmen, dass mich jemand so behandelt! Da muss man sich doch wehren und kann nicht schwach beigeben.

Annehmen verstehen wir in unserem Kulturkreis oft nicht richtig. Wir brauchen erstmal ein genaueres Verständnis davon, was Annehmen überhaupt ist. Annehmen hat nichts mit Schwäche und Unterwürfigkeit zu tun. Gemeint ist etwas anderes. Dieses Andere muss man erstmal vom Kopf her verstehen, aber das reicht nicht. Man muss es praktizieren und ein Gefühl dafür bekommen. Erst mit der Zeit wird man sich lösen können vom Gefühl, unfreiwillig zurückstecken zu müssen und Opfer oder Verlierer in einer Situation zu sein.

Annehmen, was ist, ist im Grunde ganz einfach: Wir erkennen die Situation vollständig, wie sie gerade ist. Wir tun nichts hinzu, vezerren nichts und blenden nichts aus. Gerade in emotional aufgeladenen Situationen ist dies aber sehr schwierig. Dann können wir nicht nüchtern erkennen, wie die Dinge sind.

Normal überspringen wir den Moment des Annehmens: Wir sind gleich dabei Urteile zu fällen und uns zu wehren. Oder  wir regen uns über Missstände auf. Wir wollen, dass es anders ist und das möglichst gleich. Das, was ist, versetzt uns in Unruhe und unser Wille kämpft dagegen.

Annehmen hingegen heißt, erstmal die Situation klar zu sehen, ohne etwas verändern zu müssen.

Wofür soll das gut sein? Wenn wir eine Situation klar erkennen, dann können wir viel besser die richtigen Konsequenzen ziehen. Dann wird aus einem blinden Willen ein intelligenter Wille. Dann kämpfen wir vielleicht nicht gegen Windmühlen, weil wir einsehen müssen, dass wir den Kampf verlieren werden. Wie viel Kraft wird sinnlos verschwendet, weil Menschen nicht einsehen wollen, dass sie die Kampf nie gewinnen können? Und wie viele Menschen leben dann lange Zeit mit einer Verbitterung, die sich auf alles im Leben auswirkt?

Schlussendlich werden wir am besten fahren, wenn wir das ändern, was zu ändern ist und was wir wohl überlegt auch wirklich ändern wollen. Wo wir also bereit sind, diese Energie aufzubringen, um etwas zu ändern. Wo es Sinn macht, sich dafür zu engagieren. Wo wir bereit sind, den Preis zu bezahlen, weil es unserem Wesen entspricht, uns dafür zu engagieren.

Und das, was wir nicht ändern können, können wir nur annehmen. Je besser uns das gelingt, um so weniger belastet es uns. Eine Ungerechtigkeit anzunehmen, ist sehr schwer. Vielleicht ist das die schwerste emotionale Übung auf der Welt, das anzunehmen, was eindeutig nicht in Ordnung ist. Und doch bleibt uns, wenn wir es uns recht überlegen, gar nichts anderes übrig. Jeder Widerstand gegen etwas, was sich nicht ändern wird, ist doch vergeudete Mühe. Es führt zu nichts.

Etwas Annehmen muss auch nicht endgültig sein. Es kann sein, dass ich sagen kann: "Jetzt im Moment kann ich daran nichts ändern." Es kann sein, dass ich irgendwann mal etwas daran ändern kann, dann macht es auch wieder Sinn, da seine Kraft hineinfließen zu lassen. Man muss nur aufpassen, dass man erstmal wirklich loslässt, um es nicht unbewusst weiter mit sich rumzuschleppen. Denn das würde auch wieder unsere Kräfte binden, wir sind weiterhin damit verstrickt.

Annehmen kann natürlich auch immer mal wieder heißen, dass man tatsächlich Verlierer oder Opfer ist. Viele haben nie gelernt, auch mal Verlierer sein zu können. Und Verlierer zu sein, bedeutet für viele auch ein direkter Angriff auf ihr Selbstwertgefühl. Das Ich fühlt sich herabgewürdigt. Ich glaube, dass es gut ist, zu lernen, auch diesen Aspekt des Lebens annehmen zu können. Ohne sich dabei herabzuwürdigen. Auch das ist eine emotionale Entkopplung und Ausdifferenzierung, die man über längere Zeit üben muss. Es ist ein neues Verständnis von der Welt, die in Fleisch und Blut übergehen muss.

Donnerstag, 7. Februar 2013

Desidentifikation von Bewertungen

Mit unseren Werturteilen sind wir in der Regel stark identifiziert. Wir regen uns über etwas auf und haben das starke Gefühl: Wer sich da aufregt, das bin auf jeden Fall ich. Das sind meine ursprünglichen Überzeugen und Meinungen über mich und die Welt. Wenn etwas als "Ich" bezeichnet werden kann, dann meine Urteile über die Welt. Die sind mir heilig!

Werturteile lassen uns oft leiden. Da gibt es z.B. denjenigen, der ständig über seine Kräfte arbeitet und trotzdem noch den inneren Bewerter spürt, der sagt: "Du bist nicht gut genug, streng noch mehr an." Oder die ganzen Formen von Selbstablehnung oder gar Selbsthass, weil man sich nicht so sein lassen kann, wie man ist. Weil man sich in seiner Soheit nicht anzunehmen vermag. Nicht immer, aber immer wieder.

Weil wir unsere Werturteile als so selbstverständlich zu uns gehörig empfinden, können sie sehr lange unreflektiert überleben und uns das Leben schwer machen.

Reine Achtsamkeit ist mit nichts identifiziert. Reine Achtsamkeit nimmt nur wahr, was ist. Und so kann diese auch unsere Werturteile erkennen. Für die Achtsamkeit heißt es nicht: "Das mag ich nicht." sondern einfach nur "Da taucht in mir ein ablehnendes Gefühl auf." Das schafft Distanz. Distanz die es braucht, um sich von etwas zu desidentifizieren.

Desidentifikation von seinen Bewertungen schafft die große Chance, sich von vielen Werturteilen über sich und die Welt zu lösen. Im Zuge einer Selbstaktualisierung. Wenn man nämlich nun beginnt, über seine bewusst wahrgenommen Werturteile zu reflektieren, kann man sich von überholten Werturteilen lösen.

Geht es nur um eine Ersetzung alter Werturteile durch Neue? Es gibt viele Indizien dafür, dass Werturteile zu Problemen führen und wir gar nicht von diesen profitieren. Man findet diese Erkenntnis in vielen psychotherapeutischen Schulen und auch in spirituellen Wegen. Gerade im Buddhismus, in dem die Achtsamkeit ein zentrales Element ist, geht es oft darum, Werturteile aufzulösen. Denn Werturteile spalten die Welt, im Buddhismus geht es aber darum, das EINE zu erkennen.

Es kann ein interessantes Experiment sein, im Alltag seine Werturteile zu hinterfragen. Sind sie überhaupt nötig? Wozu nützen sie mir? Man wird sicherlich vieles finden, was gar nicht nötig ist und zu nichts führt.

Das Urteil verhindert ganz oft, dass wir tiefer erkennen können, was wirklich ist. Jetzt im Moment.  

Samstag, 2. Februar 2013

Nichts hinzufügen, nichts wegnehmen

Achtsamkeit ist einfach wahrnehmen, was ist. Doch das ist gar nicht so einfach. Oft wollen wir etwas fühlen oder etwas erreichen. "Ich möchte mich entspannt fühlen." oder "Es soll sich gut anfühlen."

Wunschlos annehmen, was ist, ist eine hohe Kunst, die man üben und lernen muss. Das ist im Grunde etwas Wesentliches, was man durch Achtsamkeitsschulung lernt. Eine innere Haltung, die uns erst zu Sehenden macht, weil wir nicht mehr selektieren und ausfiltern, sondern weil wir das annehmen, was einfach ist.

Etwas hinzufügen wollen, was eigentlich nicht da ist, wir uns aber wünschen, ist das Eine. Das andere ist, etwas nicht spüren oder sehen zu wollen, was da ist. Weil es unangenehm ist, weil es nicht zu dem passt, was wir wollen. Auch hier gilt es, gleichmütig anzunehmen, was ist.

Achtsamkeit ist also die Haltung, alles anzunehmen, was ist. Ganz egal, ob uns das gefällt oder nicht. Das ist wahrer Gleichmut. Und große Herausforderung zugleich. Achtsamkeit führt damit zu einem klaren und unverfälschten Blick. Sie wirkt gegen unsere Tendenz, uns Illusionen hinzugeben, um uns die Welt so hinzubiegen, wie wir sie lieber hätten.

Oft lässt sich nicht sehen, was ist, weil man etwas Bestimmtes erwartet. Man schaut ständig mit der Erwartung zu etwas hin, wann es denn endlich so kommt, wie vorgestellt. Dabei übersieht man aber das, was einfach ist. Da hat man z.B. eine bestimmte Vorstellung, was in einer Meditation passieren muss und versucht, diesen Zustand zu erfahren. Aber in Wirklichkeit ist es ganz anders und man wartet vergeblich darauf, stattdessen versäumt man das, was ist.

Oder es ist so, dass man in Meditation eine bestimmte angenehme Erfahrung gemacht hat. Das wird dann zum Ziel der nächsten Meditation: Es muss doch wieder so werden, wie beim letzten mal. Das war doch so ein guter Zustand. Und schon will der Geist wieder etwas, doch Meditation ist eben nicht das Hinarbeiten zu einem bestimmten Gefühlszustand. Es geht immer nur um die bewusste Wahrnehmung des Augenblicks. Egal wie auch  immer der sein mag.

Achtsamkeit ist damit etwas, was sich nicht einmischt. Achtsamkeit bewertet auch nicht. Achtsamkeit ist daran interessiert, was ist. Was wirklich ist. Mehr nicht.